Emile_Cioran Emile Michele Cioran
geboren 1911 in Rumänien, gestorben 1995 in Paris.

Der Hauptmangel der Philosophie liegt darin,
dass sie zu erträglich ist...

Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd.
Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind ...
Ich bin von jeder Ideologie geheilt.



Aphorismen:
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Im Bedürfnis zu beten
kommt der Angst vor einem plötzlichen Zusammenbruch des Gehirns
ein beachtlicher Anteil zu.


Solange man irgendwem, und sei es einem Gott,
seinen Erfolg neidet,
ist man elender Sklave wie alle.


Was ist ein 'Zeigenosse'?
Jemand den man töten möchte, ohne recht zu wissen wie.


Gott: eine Krankheit, von der man sich geheilt wähnt,
weil niemand mehr an ihr stirbt.


Jedes Zugeständnis, das man macht,
wird von einer inneren Verminderung begleitet,
deren man sich nicht sofort bewußt ist.


Alle Keime sind in uns gelegt, gute und schlechte,
ausgenommen derjenige des Verzichts.


Denn das Leben ist ein Laster. Das größte, das es gibt.
Was erklärt, warum man soviel Mühe hat,
es sich abzugewöhnen.


Die Trägheit bewahrt uns vor der Weitschweifigkeit
und eben dadurch vor der Dreistigkeit,
die der Leistung anhaftet.


Eine Anstellung
hätte sogar aus Buddha
einen simplen Nörgler gemacht.


Von Natur aus bin ich jedem Unternehmen gegenüber so abweisend,
dass ich, um mich zu einem solchen zu entschließen,
zuvor in einer Biographie von Dschingis-Khan blättern muß.


Die Faszination der Extreme erfahren zu haben
und irgendwo stehen zu bleiben
zwischen dem Dilettantismus und dem Dynamit.


Eine Liebe, die aufhört, ist eine so reiche philosophische Erfahrung,
dass sie aus einem Frisör einen Konkurrenten des Sokrates macht.


Was soll man noch von der Welt erwarten,
die im Kontemplativen einen Willenlosen sieht
und im Erweckten einen Gehäuteten?


Überlassen wir uns dem Rilke-Wort:
"Ich habe kein Organ für Goethe."


Das Geheimnis meiner Anpassung an das Leben?
Ich habe meine Verzweiflungen gewechselt
wie meine Hemden.


Jeder Beginn einer Idee entspringt
einer unmerklichen Verletzung des Geistes.


Nur der Idiot ist dazu ausgerüstet, aufzuatmen.


Wenn du nicht mehr lachen kannst,
dann kannst du dich töten.
Aber solange du noch lachen kannst,
warte, denn das Lachen ist ein Sieg
über das Leben und über den Tod,
es ist ein Zeichen, dass man Herr
über alles ist.


Wir verschanzen uns hinter unserem Gesicht;
der Narr verrät sich durch das seine.
Er bietet sich dar, er denunziert sich den anderen.
Da er seine Maske verloren hat,
macht er seine Angst öffentlich,
dräng sie dem ersten besten auf,
plakatiert seine Rätsel.
Soviel Indiskretion erregt Ärgernis.
Normalerweise knebelt man ihn und isoliert ihn.


Ein Mönch und ein Metzger
streiten sich im Innern einer jeden Lust.


Alle unsere Rachegefühle entstehen daher,
dass wir uns selbst nicht erfüllen können,
weil wir unter unserem Niveau bleiben.


Die hellen Köpfe sollten eine Liga der Enttäuschten gründen,
um ihrer Müdigkeit einen offiziellen Charakter zu geben.


Ich bin eine zerbrochene Puppe,
mit Augen, die ins Innere gefallen sind.


Die Schmeichelei macht aus einem Charakter eine Marionette,
unter der Einwirkung ihrer Süße bekommen die muntersten Augen
vorübergehend einen rindviehhaften Ausdruck.


Jede Entrüstung - von der Nörgelei bis zum Aufstand -
stellt einen Rückgang in der geistigen Entwicklung dar.


Die Skepsis ist die Eleganz der Angst.


Seit zweitausend Jahren rächt sich Jesus an uns dafür,
dass er nicht auf einem Sofa gestorben ist.


Es kommt der Augenblick,
wo man sich nur noch selbst nachäfft.


Stilmodelle: der Fluch, das Telegramm und der Grabspruch.


Wohl oder übel optiert jeder Denker am Anfang seiner Laufbahn
für die Dialektik oder für die Trauerweiden.


Seit der Katholizismus mit schöner Strenge seine Einheit behauptet,
unterliegt er der fortschreitenden Verkalkung.


Wollust der Auflehnung, in der sich ein Luther,
ein Rousseau, ein Beethoven, ein Nietzsche gefielen.


Was gesagt werden kann, entbehrt der Wirklichkeit.
Nur das, was sich gegen das Wort sperrt,
existiert und zählt.


Ein Buch muß Wunden aufwühlen,
sogar welche verursachen.
Ein Buch muß eine Gefahr sein.


Jemandem ein Buch schicken heißt einen Einbruch,
heißt Hausfriedensbruch begehen.
Heißt seine Einsamkeit, sein Heiligstes beeinträchtigen,
heißt ihn zwingen, auf sich selbst zu verzichten,
um an unsere Gedanken zu denken.


Das Fragment ist sicherlich ein enttäuschendes Genre,
wiewohl das einzig ehrliche.


Jedes Zugeständnis, das man macht,
wird von einer inneren Verminderung begleitet,
deren man sich nicht sofort bewußt ist.


Die wahre moralische Vornehmheit besteht in der Kunst,
seine Siege als Niederlagen zu kostümieren.


Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.


Den Aphorismus kultivieren nur diejenigen,
die das Bangen inmitten der Worte kennengelernt haben,
jenes Bangen, mit allen Worten zusammen einzustürzen.


Statt der Verzweiflung bediente er sich des Zweifels.




(gesammelt aus dem Internet)
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EMILE CIORAN AND THE CULTURE OF DEATH
by TOMISLAV SUNIC

http://www.rosenoire.org/articles/sunic-cioran.php

Webpräsenz & Yahoo-Group zu Emile Cioran:
planetcioran

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E. M. Cioran: Cafard - Originaltonaufnahmen 1974-1990 - Audio

Buchbesprechnung bei Perlentaucher - Die zweite Geburt: Émile Cioran in seinen Tagebüchern

Berliner LeseZeichen - "Das Universum ist Asche, die sich wandelt
und deren Sinn keiner versteht ..." - Cristina Tudorica


Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon - Band XVI (1999) Spalten 261-267
Autor: Sigrid Irimia-Tuchtenhagen


Lebe wohl, Cioran - Verfasser: Guido Ceronetti

Hermannstädter Zeitung - Schauspieler Ion Caramitru erinnert sich an Emil Cioran

Welt - Fußballspielen mit Totenschädeln - Leonhard Fuest

Ein Säulenheiliger ohne Säule. Begegnungen mit E.M. Cioran.
- Vom Nachteil, verstanden zu werden


Friedgard Thoma: Um nichts in der Welt. Eine Liebe von Cioran - Max Lorenzen

Cioran und Thoma - alter Mann und junge Frau -
Ein E-Mail-Disput zwischen Verleger und Kritiker


Eitle Gedankenkosmetik - E. M. Cioran und Friedgard Thoma - Frank Müller

Zersplitternde Gewißheiten - Cioran für Anfänger - T. und S.Stölzel

Der ferne Freund Cioran und der Streit um die Mutter-Sprache - Dieter Schlesak

Begegnungen mit Emile Cioran - Briefe an Dieter Schlesak und Linde Birk

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Zur Musik



Musik ist klanggewordene Zeit.



Die Musik hat mich Gott gegenüber zu verwegen werden lassen. Genau das trennt mich von östlichen Mystikern ...



Nichts befriedigt dich, nicht einmal das Absolute - nur die Musik, diese Auffaserung des Absoluten.



Bedeutet denn
unter dem Zeichen der Musik zu leben etwas anderes, als mit Anmut zu sterben? Musik oder das Unheilbare als Wollust ...



"Ich kann keinen Unterschied machen zwischen den Tränen und der Musik" (Nietzsche). Wer dies nicht unmittelbar versteht, hat nie in inniger Vertrautheit mit der Musik gelebt. Alle wahre Musik entspringt dem Weinen, da sie aus der Sehnsucht nach dem Paradies hervorgeht.



Werde ich genügend Musik in mir haben, um niemals dahinzuschwinden? Es gibt Adagios, nach denen man nicht mehr verwesen kann.



Der Sinn der Musik ist, uns darüber zu trösten, daß wir uns von der Natur losgerissen haben. Und der Grad unserer Schwäche für sie zeigt unsere Ferne vom
Urgrund. In der musikalischen Schöpfung wird der Geist von seiner eigenen Autonomie geheilt.



Die Orgel drückt das innere Schaudern Gottes aus. Wenn wir ihren Schwingungen nachgeben, vergöttlichen wir uns selbst, wir vergehen
in ihm.



Wir tragen in uns die gesamte Musik: sie ruht in den Tiefenschichten der Erinnerung. All das, was musikalisch ist, gehört zur Reminiszenz. In der Zeit, da wir noch keinen
Namen besaßen, müssen wir wohl alles vorausgehört haben.



Bitterkeit ist eine von Vulgarität entstellte Musik. Adel gibt es nur in der Melacholie ... Weshalb es nicht völlig belanglos ist, zu wissen, in welcher Nuance des Weltschmerzes du an Gott dachtest ...



Alles Musikalische ist Schein, Irrtum oder Sünde.



Was noch bei den Sterblichen suchen, wenn du Orgel und sie Flöte spielen.



Der beste Beweis, daß die Musik keineswegs menschlicher Natur ist: Sie ruft nie die Vorstellung der Hölle hervor. Selbst nicht die Trauermärsche. Die Hölle ist
Aktualität, d.h. allein die Erinnerung an das Paradies bleibt in uns zurück. Hätten wir die Hölle in unserer Ur-Vergangenheit gekannt, würden wir nicht jetzt beim Gedanken an unsere verlorene Hölle schmachten?



Jesus war zuwenig Dichter, als daß er die Todeswonne erfahren hätte. Es gibt aber Orgelpräludien, die uns zeigen, daß Gott nicht soweit davon entfernt ist, wie wir zu glauben neigten; und
Fugen, die nur die Eile dieser Wonnen deuten.



In der Musik haben die Franzosen nichts Großes geleistet, weil sie die Vollkommenheit in der Welt allzusehr liebten. Und im Grunde ist die Intelligenz der Ruin des Unendlichen und mithin der Musik ...



Hätten wir keine Seele gehabt, die Musik würde uns eine geboren haben.



Jeder trägt in verschiedenem Maße die Sehnsucht nach dem Chaos in sich - die in der Liebe zur Musik zum Ausdruck kommt. Ist das nicht das Weltall im reinen Zustand der Virtualität? Die Musik ist ein
All - die Welt abgerechnet.



Den Liebesqualen kannst du dich entreißen, indem du sie in Musik auflöst. Auf diese Weise verlieren sie ihre inbrünstige Wucht in einer verschwommenen Unermeßlichkeit.
Wenn die Leidenschaft allzu heftig ist, fasern sich die Wagnerschen Windungen und Verschlingungen ins Unendliche auf, und anstatt der scharf umrissenen Qual zu erliegen, wiegst du dich ätherisch in einer horizontalen Auflösung, dehnst dich herbstlich auf der Wüste einer Melodie aus ...



Die musikalische Meditation sollte der Prototyp des Denkens schlechthin sein. Welcher Philosoph ist jemals einem Thema nachgegangen, bis er es erschöpft hat, bis an dessen äussere Grenze? Einen abschließenden, vollkommenen Gedanken gibt es nur in der Musik. Sogar nachdem man die tiefsinnigsten Philosophen gelesen hat, empfindet man das Bedürfnis, wieder am Nullpunkt anzufangen. Nur die Musik gibt uns endgültige Antworten.



Wie die Gedanken nistet sich die Musik in den Leeren der Lebenskraft ein. Frisches Blut und rosiges Fleisch widerstehen den schwingenden Verlockungen, haben keinen Platz für sie; die Krankheit hingegen macht ihnen
Platz. In dem Maße, wie es am Leben nagt, rückt das Absolute vor. Ist es nicht aufschlußreich, daß in der Unendlichkeit der Musik und des Todes alles in uns zerschmilzt, daß die Materie ihre Umrisse verliert, daß wir unsere Grenzen durchbrechen, um dem Klang- und Todeseinbruch ein weites Wirkungsfeld zu bieten?



Wenn wir Bach hören, sehen wir Gott
aufkeimen,
sein Werk ist gottheits
gebärend.
Nach einem Oratorium, einer Kantate oder einer Passion
muß er existieren. Sonst wäre das gesamte Werk des Kantors nur eine zerreißende Illusion.
Wenn man bedenkt, daß soviele Theologen und Philosophen Tage und Nächte damit verloren haben, nach Gottesbeweisen zu suchen, und den eigentlichen vergessen haben



Wer der Orgel nie gelauscht hat, versteht nicht, wie sich die Ewigkeit
entfalten kann.



Bach ist ein Décadent
in himmlischem Verstand. Nur so erklärt sich der feierliche Zerfall, dem du bei jeder Begegnung mit der von ihm erschaffenen Welt nicht ausweichen kannst.



Bei Beethoven gibt es nicht genug ermattenden Reiz
und auch nicht genug Müdigkeit



Wie viele Tore, so viel Musik in einer Welt ohne Melodie.



Wie viele wissen, was es bedeutet, aus dem göttlichen Abgrund in einen noch tieferen zu stürzen? Keine Musik hat bisher den Bruch mit Gott angestimmt



Nur in der Musik und in den Schaudern der Verzückung, wo wir die Verschämtheit der Grenzen un den Aberglauben der Gestalt abstreifen, erreichen wir das Untrennbar des Lebens vom tode, das einheitliche Pochen lebenskräftigen Sterbens, Einssein von Lebensdrang und Verlöschung. Die Menschen unterscheiden vermitttels Reflexion und Illusion, was im musikalischen Werden Zauber zwielichtiger Ewigkeit ist, Flut und Rückflut eines und desselben Motivs. Musik ist absolute Zeit, Substanzwerdung der Augenblicke, von Wellen geblendetes Ewigsein ...



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Aufgespiesst:



In einer Welt ohne Melancholie würden die Nachtigallen zu speien beginnen und die Lilien ein Bordell aufmachen.



Leiden ist Tätigsein ohne Tun.



Krankheiten sind Indiskretionen des Fleisches von der Ewigkeit her.



Sein? Mangel an Scham.



Alle Wasser haben die Farbe des Ertrinkens.



Streng genommen kannst du nicht fragen, was das Leben
ist, sondern lediglich, was es nicht ist.



Wahrheit ist ein in die Ewigkeit verbannter Irrtum.



Was Gesundheit abgeht, ist Unendlichkeit. Deshalb haben die Menschen auch darauf verzichtet.



Nur indem du dein Unglück durch Gedanken und Tat mehrst, kannst du Lust und Geist darin aufspüren.



Blaßheit zeigt, inwieweit der Leib die Seele versteht.



Ein Langweiler ist ein zur Langeweile Unfähiger.



Ein Denker, der hören könnte, wie eine Idee verfault ...



Schwermut macht den Alpinismus entbehrlich. Wenn du die Berge
von unten her zu verstehen beginnst ...



Faulheit ist Skeptizismus des Fleisches.



Irrsinn ist Einführung der
Hoffnung in die Logik.



Alles planscht im Nichts. Und das Nichts in sich selbst.



Grauen ist Zukunftsgedächtnis.



Die Neurose ist ein Zustand automatischen Hamletismus. Sie verleiht dem betroffenen Eigenschaften des Genies ohne die Tragfähigkeit des Talents.



Nihilismus: Grenzform des Wohlwollens.



Ohne Gott ist alles Nacht, mit ihm wird sogar das Licht überflüssig.



Alle Formen des Niedergangs sind da, um mir halt zu verleihen.


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Alle Zitate stammen aus: E.M. Cioran, Gedankendämmerung, Frankfurt 1995, sowie aus E.M. Cioran, Von Tränen und von Heiligen, Frankfurt 1988, Originalausgaben in Rumänien 1937/1940.

E. M. Cioran (1911-1995), der sich selbst nicht als Philosophen, vielmehr am "Rande der Literatur" sah, gilt heute bereits als Klassiker und einer der großen Stilisten unseres Jahrhunderts. Als Cioran im Frühling 1995 im Alter von vierundachtzig Jahren starb, hinterliess er ein verzweigtes Werk: Bücher und Essays, Aphoristisches und geistesgeschichtliche Analysen ...
Aufgrund seiner Ideen und seiner eigenwilligen Persönlichkeit kann C. als bedeutendster Skeptiker und radikalster Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts angesehen werden.
(http://www.bautz.de/bbkl/c/cioran_e_m.shtml)

Tip: Zersplitternde Gewißheiten, Ein Cioran-Lesebuch hrsg. von Thomas und Simone Stölzel, Suhrkamp Taschenbuch 3278, Frankfurt 2002, 7,50 EUR

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